Klamotten kaufen wir, tragen sie und dann werfen wir sie weg. Patagonia will verkaufen. Aber nicht um jeden Preis. Hat ein Shirt ein Loch, dann wird es repariert. Ziehst du eine Jacke nicht mehr an – schick‘ sie ein, jemand anderes freut sich drüber. Mit dem „Worn Wear“-Projekt erteilt das kalifornische Outdoor-Label unserer heutigen Wegwerfgesellschaft eine Absage. Wir sagen „Chapeau“!
Ein Text von Marcel Schlegel mit Fotos von Lukas Rüblinger
Manche Marken verdienen einfach mehr Aufmerksamkeit. Denn fernab von der ganzen Fashion-Wegwerfgesellschaft gibt es da draußen noch ein paar Labels, die eine klare Philosophie fahren – und dieser auch über Jahrzehnte hinweg konsequent treu bleiben. Ehrliche Unternehmen einfach, die im Haifischbecken der unzähligen Klamotten-Labels zwar ebenfalls auch ein bisschen um Aufmerksamkeit werben, die ihre Sachen ebenfalls verkaufen wollen und müssen – anders geht’s nicht. Die aber ihr eigenes Selbstverständnis deswegen nicht ändern und die so eine ganz eigene Linie prägen. Authentisch. Nachhaltig. Nachvollziehbar. Unaufgeregt. Und trotzdem stylisch. Wenn sich das Ganze dann noch verkauft, umso besser.
Eine solche Marke ist das aus den Staaten stammende Outdoor-Label Patagonia. Patagonia? Ist das nicht die Marke mit dem Berg-Logo, was für Wanderer, Angler, Bergführer, Kletterer, für Skifahrer, Snowboarder, Surfer, Fliegenfischer, Paddler und Läufer – oder für bodenständige und sportliche Naturfreunde wie meinen Papa? Oder aber für Outdoor-Jünger, die sich der ganzen schnelllebigen Klamotten-Industrie entziehen, die ihre Kleider entsprechend des nächsten Trips pragmatisch und funktional auswählen und Klasse statt Masse präferieren? Letzteres stimmt auf jeden Fall. Und ja, zu Ersterem: Auch das stimmt, so habe auch ich Patagonia immer ein bisschen gesehen. Und eben deswegen auch gekauft, aus familiärer Überzeugung.
Dann habe ich neulich die Marke genauer unter die Lupe genommen, sprach mit ein paar Mitarbeitern, schaute mir die großartigen Worn-Wear-Videos an, in denen Menschen ihre Geschichten erzählen – etwa von alten Klamotten, die maximale genutzt, recycelt und sogar repariert werden, die weitergegeben werden, die Generationen überleben und so selbst Geschichten erzählen können …
Seither jedenfalls bin ich nicht nur der pragmatische Hobby-Wanderer, der Patagonia für seine Outdoor-Kollektion liebt, sondern auch ein überzeugter Fan, ein hipper „Patagonianer“. Denn Patagonia produziert nicht nur wirklich (also wirklich!) nachhaltig und umweltschonend, hat qualitativ unfassbar gutes und funktionales Zeug – nein, ich schätze das Label für seine Schlicht- und Einfachheit. Patagonia ist wie die Natur: Sie macht keinen Lärm, braucht keinen Motor und keine grellen Alarmglocken. Wie ich darauf komme?
PATAGONIA @ WORN WEAR PROJECT
PATAGONIA @ NEW LOCALISM
PATAGONIA @ RADICAL ACT
DAS LEITBILD – Wertvoll und lautlos.
Patagonia entwickelte sich aus einem kleinen Unternehmen heraus, das zunächst Zubehör für Kletterer fertigte. Bis heute blieben die Jungs und Mädels aus Kalifornien ihrer Philosophie treu, in all ihrem Tun Mensch und Natur immer als Einheit zu denken, die sich ergänzt und miteinander lebt. Sportarten, die Patagonia verkörpert, sind lautlos, sie spielen sich draußen ab. Ohne Beifall. Im Wettbewerb – wenn überhaupt – mit sich selbst oder der Natur. Für Patagonia bedeutet die Liebe zu unberührten und großartigen Landstrichen, dass man sich am Kampf zum Erhalt ebendieser beteiligt. So produziert das Label umweltschonend und investiert Teile des Gewinns in Umweltgruppen und dergleichen. In unsere Erde.
DAS DESIGN – Minimalistisch und funktional – wie das Unternehmen selbst.
Ich brauche auf meinem Shirt keine Beyonce und keinen hippen Spruch. Es muss passen, es muss halten und es muss schön sein. Schön schlicht. Und genauso ist Patagonia. Das Produktdesign offenbart die Vorliebe für Schlichtheit und Funktionalität. Oder wie es das Westcoast-Label selbst in Anlehnung an Antoine de Saint-Exupéry formuliert:
„Wenn überhaupt, wird Vollkommenheit nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern, wenn nichts mehr weggenommen werden kann, wenn ein Körper auf seine Reinform reduziert worden ist.“
DIE PRODUKTE – Funktional und das mit Stil.
Anfangs war ich auf Patagonia gestoßen, weil ich ein paar Outdoor-Klamotten fürs Wandern und Biken gebraucht hatte. Mir gefielen die Sachen sogleich, denn obwohl ich zunächst die Überzeugung hatte, Patagonia mache Klamotten im Papa-Style, wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Richtig schöne Sachen haben die Jungs und Mädels im Sortiment – Shirts, die man gut und gerne auch abends beim Weggehen anziehen kann und die dennoch unverkennbar einzigartig bleiben.
Erst recht war ich beeindruckt – und das ist eben der Grund für diesen Post – als ich mich dann mal genauer mit den Produktions-Grundsätzen auseinandersetzte. Nachhaltig, stand da geschrieben. Schon klar, das sagt heute ja jeder. Aber nee, bei Patagonia ist das keine Mogelpackung. Wieso?
Patagonia ist sich dessen bewusst, das kein Unternehmen ohne Verschmutzung der Umwelt existieren kann, doch versucht das Label – ganz authentisch und vor allem nachvollziehbar – so wenig „Müll“ wie möglich zu machen. Deswegen arbeiten sie fortwährend daran, diese Belastungen zu reduzieren, verwenden recyceltes Polyester, bauen Baumwolle biologisch an, kommen mit wenig Chemikalien, Wasser und Energie aus, verzichten auf Dünger und Gentechnik und, und, und …
WORN WEAR – Ein großes Nein zur Wegwerfgesellschaft.
Auch Patagonia will verkaufen. Aber nicht um jeden Preis. Hat ein Shirt ein Loch, dann wird es repariert. Ziehst du eine Jacke nicht mehr an – schick sie ein, jemand anderes freut sich drüber. Ziel des „Worn Wear“-Projekts ist es, die Lebensdauer der Kleidung durch Pflege und Reparatur zu verlängern. So kauft man weniger, vermeidet CO2-Ausstoß, sowie Abfälle und Abwässer, die bei der Herstellung gebraucht werden.
Die Produkte haben eine lebenslange Garantie, online zeigt Patagonia in Videos, wie man Kleinigkeiten selbst repariert und wenn nichts mehr hilft, dann helfen die Näherinnen und Näher des Unternehmens!
DIE GESCHICHTE – Der Kletterer Yvon und sein Selfmade-Label.
Yvon Chouinard, Gründer von Patagonia, startete seine Kletterkarriere im zarten Alter von 14 Jahren in der Nähe von Palms Springs/USA. Immer auf den Bergketten der Staaten unterwegs und mit der Natur auf eine liebevolle Art verbunden, beschloss Chouinard in den 50er Jahren, seine eigene wiederbenutzbare Hardware herzustellen. 1957 besorgte er sich auf einem Schrottplatz einen gebrauchten, kohlebefeuerten Schmiedeofen, einen Amboss, einige Zangen und Hammer und brachte sich selbst das Schmieden bei.
Bald darauf richtete Chouinard im Hinterhof seines Elternhauses eine Werkstatt ein. Da sich der Großteil seines Werkzeugs tragen ließ, lud er die nötigen Arbeitsgeräte einfach auf sein Auto und fuhr damit an die kalifornische Küste zum Surfen. Somit verband er Arbeit und Vergnügen, denn seine Hardware verkaufte er aus dem Kofferraum seines Autos heraus.
Die Nachfrage wuchs. Chouinard kam mit der manuellen Fertigung nicht mehr nach. Er stieg auf Maschinen um. Und mehr und mehr wuchs Chouinard Liebe zu seiner Leidenschaft, zur Natur und damit auch die Nachfrage. In den 70ern tat er sich mit der englischen Marke „Umbro“ zusammen. Die ersten Kleidungsstücke entstanden. Nun war klar: Er brauchte einen Namen: Für viele rief das südamerikanische Naturparadies Patagonien (Patagonia auf Englisch) seinerzeit eine ähnliche Assoziationen hervor wie Timbuktu oder Shangri-La. Es ist weit weg, interessant, rätselhaft, unbekannt.
Das Unternehmen wuchs und wuchs. Und doch blieb es sich treu und folgte dem Anliegen Chouinards, die Liebe zum Wesentlichen nicht zu verlieren und sich eben auf das Wesentliche zu beschränken. Eine Anekdote?
„Wir waren in unserer Arbeit stets von Freunden umgeben und alle konnten stets anziehen, was sie wollten, sogar barfuss herumlaufen. In der Mittagspause gingen die Mitarbeiter zum Laufen oder Surfen oder spielten auf dem Sandplatz hinter dem Firmengebäude Volleyball. Regelmäßig lud die Firma zu gemeinsamen Ski- und Kletterausflügen ein. Die meisten Unternehmungen wurden aber in privatem Rahmen unter befreundeten Kollegen organisiert, die Freitagabend in die Sierras fuhren und erschöpft, aber glücklich, rechtzeitig am Montagmorgen wieder im Büro waren.“
Ich finde das unfassbar sympathisch. Und daher kaufe ich gerne bei Patagonia ein. Und wenn’s kaputt ist, wird’s repariert. Ein Umdenken, das erst dieses Label in mir erneut hervorbrachte. Und das uns allen nur gut tun kann.
Alle Produkte findet ihr im PATAGONIA SHOP
Ihr fragt euch, wo wir die Fotos aufgenommen haben? Beim Stuttgarter Schloss Solitude – hier soll Friedrich Schiller übrigens „Die Räuber“ geschrieben haben!
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[…] Mehr zu Patagonia – in unserer Marken-Review: Ein großes Nein zur Wegwerfgesellschaft […]
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[…] Patagonia – nicht erst seit die Daunenjacke eines jeden modebewussten Mittfünfzigers diesen Namen auf der Brust trägt, war ich fasziniert von dieser außergewöhnlichen Region. Dabei bin ich nicht der typische Backpacker, Abenteurer oder gar Aussteiger. Im Gegenteil: Ich schätze es, täglich warm zu duschen, ein Holzfällerhemd besitze ich nicht und mein Bartwuchs entspricht dem eines fünfjährigen Mädchens. […]