Edelholz statt Goldstandard: Wie das frisch aus dem Boden gestampfte Mahagoni Festival unter der Leitung junger Freigeister praktisch alles richtig macht und mit ebenso viel Planungsaufwand wie Liebe zum Detail den Grundstein legt, um in naher Zukunft auch ohne Riesenbudget und kommerzielle Erstliga-Ambitionen Wellen zu schlagen, Pflichttermin zu werden und sogar echten Kultstatus zu erlangen. Vielleicht sogar gerade deswegen.
Der Abschied vom Sommer ist jedes Jahr ein schwerer. Nicht nur, weil uns beim ersten, merklichen Temperatursturz schlagartig bewusst wird, dass es sich nun auf absehbare Zeit ausgegrillt hat und wir Badelatschen sukzessive gegen immer festeres Schuhwerk eintauschen müssen – der Spätsommerblues trifft uns deswegen so hart, weil er der Freizeit schlicht ihre Leichtigkeit und Vielseitigkeit nimmt. Sobald der August auf die Zielgerade abbiegt und mit letzter Kraft feierliche Ehrenrunden dreht, blicken wir in trister Vorahnung der kommenden, kalten Monate wehmütig auf die Erlebnisse der vergangenen Wochen zurück. Auf die unzähligen Stunden im Freien, die lauen, ewig dauernden Abende – und natürlich die Festivalsaison. Denn kaum ein Trend kann den Zeitgeist des Sommers für Musikliebhaber und Feierwütige so greifbar, so kollektiv erlebbar und so schön inszenieren, wie das Prinzip, sich für einige Tage, bewaffnet mit Campingkocher, Zelt und Tanzschuhen, von der Außenwelt abzukapseln und sich gemeinsam mit Gleichgesinnten von der Musik treiben zu lassen. Dabei gibt es mittlerweile so unzählig viele Vertreter der organisierten Freiluftextase, dass irgendwann nicht nur die subjektive Differenzierung schwer fällt, sondern man bei exzessivem Genuss auch Gefahr läuft, sich zu übersättigen. Doch wie in jeder anderen, viel frequentierten Sparte, gibt es auch im Bereich Festivals noch solche, die auf ihre Art wirklich zu überraschen wissen. Aus diesem und vielen weiteren Gründen möchte ich heute ein paar Zeilen tippen, die das Ende meines Sommers beschreiben, wie er harmonischer und schöner nicht hätte ausklingen können.
Auftritt, Mahagoni! Die Einladung bekam ich, wie heute gängig, über Facebook. Geschlossene Gruppe, privat und ohne großen Sponsor organisiert, nicht einmal tausend Adressierte. Klein und intim sollte es werden – und doch groß genug, um den unverkennbaren Flair einer von Musik getriebenen Menschenansammlung herzustellen. Lange war überhaupt nicht bekannt, wo das Ganze überhaupt stattfinden sollte, lediglich das Datum, der Zeitrahmen (4 Tage), ein Logo (Baum, was sonst?) und der elektronische Duktus der Veranstaltung wurden preisgegeben. Während sich über die folgenden Wochen Spannung aufbaute und immer mehr Details, wie Yogakurse, andere Workshops, und schließlich auch die Anfahrtsbeschreibung per FB-Post durchsickerten, plante auch ich meine Anreise samt Chaoscrew, Verpflegung und Campingausrüstung. Von München via PKW kommend, hatte ich laut Google Maps nicht nur zweieinhalb Stunden Fahrzeit zu einem abgelegenen Waldstück bei Ansbach vor mir, sondern auch wie so oft unterschätzt, wie schnell man sein Auto mit allem möglichen Krempel vollladen kann, von dem man die Hälfte unter Garantie ungenutzt im Kofferraum schmoren lässt.
Nach gefühlt 5000 Holzwegen, 2000 Funklöchern und diversen, ungeduldigen Flüchen, bot sich mir bei der Ankunft ein angenehm vertrauter und gleichzeitig verblüffender Anblick. Angeschmiegt an ein kleines, idyllisches Waldstück, hatte sich bereits eine beachtliche Anzahl von Zelten gruppiert, gerahmt von einigen am Weg parkenden Wohnmobilen und Vans, daneben ein kleiner Weiher samt Ruderboot und Liegewiese, aus dem Wald gedämpft pumpende Bässe in akustisch undefinierbarer Distanz. Bei den ersten Streifzügen übers Gelände traf ich bereits angereiste Freunde, machte neue Bekanntschaften, trank das erste Bier und brachte halbwegs widerwillig den Zeltaufbau hinter mich, um anschließend jenen entscheidenden Teil zu inspizieren, für den das Orgateam wochenlang Herzblut, Schweiß, Ideenreichtum und natürlich Geld investiert hatte. Schon auf dem Weg zur Quelle der Musik stolperte ich wider Erwarten über eines jener Alleinstellungsmerkmale, die nicht nur den Einheitsbrei vom Weizen trennen, sondern sich besonders nachhaltig ins Gedächtnis einprägen und dem Gesamtkonzept ein eigenständiges Feeling verleihen. Ebenso simpel wie genial, hatten die Veranstalter den Moos-bedeckten, knautschig-weichen Waldweg mit Lichterketten gesäumt. Die emotionale Tragweite dieser Idee sollte sich mir erst mehrere Stunden später bei Einbruch der Dunkelheit offenbaren, vorerst nahm ich sie im Schummerlicht, zusammen mit den an Bäumen befestigten Müllsäcken für Kippen und Bierdosen, lediglich als positive Randnotiz auf.
Nach etwa 400 Metern Fußmarsch in Richtung Waldmitte dann der ersehnte Aha!-Moment: eine Lichtung, wie dafür gemacht, gesäumt von sicher handgezimmerten Holzbuden samt Scheinwerfern, einer stilistisch dazu passenden Bühne als zentrales Element, Sound- und Lichtanlage ebenfalls holzverkleidet gegenüber, reihenweise kreative Sitzmöglichkeiten und Hängematten zwischen jungen Bäumen. Dazu vereinzelte, liebevoll gestaltete Dekoelemente – fast unnötig zu erwähnen, dass so ein Look in so einem Kontext funktioniert! Im Zusammenspiel mit der einzigartigen Kulisse des jungen Waldes schossen mir Assoziationen durch den Kopf, die sich auch gut in einer Fabel oder einem Märchen gemacht hätten. An der Bar am anderen Ende der Lichtung bekamen wir fast feierlich unsere Festivalbändchen angelegt, dazu ein aufwendig gestaltetes Programmheft (!) als Begleitlektüre. Hier waren nicht nur die insgesamt 24 DJs samt Timetable aufgelistet, sondern auch jede Menge Hintergrundinfos zu den geplanten Workshops, nützliche Hinweise rund ums Festival, die obligatorische Bitte um Sauberkeit sowie die namentliche Vorstellung des Orgateams. Besser hatte ich das auch noch von keinem Branchengiganten gesehen. Und definitiv nie so charmant. Man bedenke – alles home-made!
Von Konzept, Setting, Charme und den Mitfeiernden auf Anhieb überzeugt, verging das Wochenende für mich wie in einem Rausch aus Eindrücken, tollen Gesprächen, exzellenter Tanzmusik, (zu meinem größten Bedauern) verpassten Workshops, semiprofessionellen Grillsessions, faulen Katermomenten und dem gelegentlichen Sprung in den Badeweiher. Wie bereits angeteasert, steigerte sich mein anfängliches Wohlwollen hinsichtlich des mit Lichterketten ausgelegten Waldwegs bei Nacht hin zu heller Begeisterung. Es wirkt schon fast vermessen akkurat nacherzählen zu wollen, welchen Spaß mir jeder einzelne Schritt auf dem Moos bewachsenen, weichen Waldboden, gesäumt von tausend Lichtern in Richtung der immer lauter werdenden Klänge bereitet hat. Nur jene, die das Glück hatten dabei gewesen zu sein, werden meine Anmerkung nachvollziehen und sich glücklich grinsend an die umfunktionierte Weihnachtsdeko, die Lichtschatten im Dickicht, den Rauch speihenden Elefanten – und sogar die überraschend heimelige Waldtoilette zurückerinnern.
Auf dem Heimweg Richtung München ziehen Gewitterwolken auf, für die kommenden Tage ist Regen angesagt. Ich halte die Hand in den Fahrtwind, fange erste Tropfen auf und seufze unwillkürlich klischeehaft, als wäre ich Protagonist in der kitschigen Schlussszene eines Samstagabendfilms. Doch nichts wäre weiter entfernt von der Realität. Kaum einmal erinnere ich mich an einen stimmigeren Sommerausklang, das Mahagoni ist die Ehrenrunde in Bestzeit gelaufen und hat mir ein Stück weit die Wehmut genommen. Bock auf Kälte, Wind und Nasswetter geht mir zwar nach wie vor ab, doch wenigstens bin ich mir sicher, den Sommer gebührend verabschiedet- und vielleicht auch die Geburt einer neuen, aufregenden Festivalfranchise miterlebt zu haben. Danke Mahagoni und bis nächstes Jahr!
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