Zu den für immer ungeklärten Fragen der Popgeschichte gehört jene, warum der begnadete Songwriter und Zyniker (ergo: enttäuschte Humanist) Warren Zevon neben ein paar ordentlichen Alben nur ein einziges großartiges herausgebracht hat.
Von Christian Rief
Die Populärmusik befindet sich 1978 an einer brandgefährlichen Kreuzung – oder ist an dieser bereits mit einem alten Schrotthaufen zusammengestoßen, dessen Insassen im Namen des Punk jedem Kollateralschaden „Fuck you!“ in den Hintern ritzen. Die Super-Bands der 70er Jahre zerfleischen sich selber in Rosenkriegen und Eitelkeitsexzessen und/oder verwenden ihre Energie auf die Beschaffung des nächsten Beutel Kokses. Punk ist gerade ein Jahr alt geworden, und während man sich auch außerhalb der westlichen Metropolen langsam an den kleinen Schreihals in den Müll-Windeln gewöhnt, schmeißt ein blondes Brooklyner Milchgesicht russisch-jüdischer Abstammung sein drittes Album auf den Markt. Dass es Warren Zevon so weit bringen würde, war nach seiner von Kleinkriminalität und Zockerei geprägten Vergangenheit fast ein Wunder. Doch bereits auf der zweiten LP tauchen einige Songs auf, die von Linda Ronstadt gecovert werden und Zevon nicht nur finanziell aufheitern, sondern auch etwas stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken.
Dann kommt 1978 das dritte Album „Excitable Boy“. „Werewolves Of London“ – 2008 von Kid Rock in „All Summer Long“ gefleddert – wird Warren Zevons einziger großer Hit, eine Reminiszenz an den Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson, mit grandiosen Zeilen wie „I saw a werewolf with a Chinese menu in his hand / Walking through the streets of Soho in the rain“ oder „Little old lady got mutilated late last night / Werewolves of London again“.
Warren Zevon – Werewolves Of London
Das ganze Album ist ein Volltreffer. Trocken, fett abgemischt und scharf pointiert, produzieren Jackson Browne und Waddy Wachtel neun Songs mit nur gut 31 Minuten Spielzeit. Die Mischung aus großartigem Songwriting, guten Musikern, irrwitziger Polemik und Zevons hinreißend rollendem Piano haut dich – sofern du mit klassischem Songwriting-Pop per Du bist – nicht nur wegen ihrer Ohrwurmqualität um. Irrwitzig ist vor allem, dass Zevon seinen Zynismus (der sich gerne auf die stets „diskussionswürdige“ Mittel- und Südamerikapolitik der USA bezieht) nicht in typischen Proteststilen wie Folk oder Punk präsentiert, sondern in hochmelodischen, smarten Pop-Songs versteckt. Man nehme zum Beispiel das letzte Stück „Lawyers, Guns And Money“ mit seinem unwiderstehlichen Kopfnicker-Beat und stelle sich eine partygeile Meute auf der Weihnachtsfeier des Amtsgerichts vor, wie sie vollgedröhnt „Send lawyers, guns and money!“ grölt (obwohl dieser Song vermutlich auf keiner Weihnachtsfeier gespielt wird und Juristen eh selten blau sind).
Warren Zevon – Lawyers, Guns and Money
Sieht man sich heute – mit Abstand und den Erkenntnissen, die der Pop-Kanon liefert – an, was 1978 so alles auf den Markt gewuchtet wurde, kann man halbwegs verstehen, warum dieses mindestens wohlwollend erwähnte Album damals eher unterging. Selbst die Alten und Etablierten brachten – von der beschleunigten Entwicklung der neuen Kategorie Punk teils inspiriert, teils unter Druck gesetzt (reine Spekulation) – in diesem Jahr Alben heraus, die ich zu den besseren in ihrem Gesamtwerk zähle: Bruce Springsteen (Darkness On The Edge Of Town), Rolling Stones (Some Girls – sträflich unterschätzt!), Kraftwerk (Die Mensch-Maschine), Neil Young (Comes A Time), Patti Smith (Easter), Funkadelic (One Nation Under A Groove). Von denen, die erst Jahre später ihre entsprechenden Plätze im Olymp einnehmen durften, ganz zu schweigen: 1978 veröffentlichten wegweisende Platten (oft das erste Album): Devo, XTC, Talking Heads, Pere Ubu, The Jam, Elvis Costello, The Buzzcocks, Linton Kwesi Johnson, The Stranglers – need we say more?
Leider hat Warren Zevon, der großartige Chronist gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Schweinkramereien, nie mehr (und auch nicht zuvor) die Klasse von „Excitable Boy“ erreicht. Vor allem auf „Warren Zevon“ (1976), „Bad Luck Streak In Dancing School“ (1980) und „Sentimental Hygiene“ (1987) finden sich zwar starke Songs, aber auf Albumlänge war’s dann doch immer eher etwas dünn.
2002 wurde bei Warren Zevon Lungenkrebs diagnostiziert. Auf seinem letzten Album „The Wind“ (2003) ist eine Version von „Knockin’ On Heaven’s Door“ enthalten. So war er, der Alte: listig bis zum Schluss – oder am Ende einfach sanft. Am 7. September 2003, elf Tage nach der Veröffentlichung von „The Wind“, ist Warren Zevon in seinem Haus in Los Angeles verstorben. „I went home with the waitress / The way I always do / How was I to know / She was with the Russians, too“ („Lawyers, Guns And Money“). Schicken Sie bitte jetzt das Geld. Die Anwälte und die Knarren können Sie behalten.
Gastbeitrag von Christian Rief
No Comments