Road must go on! America the beautiful, unsere kleine USA-Reiseserie, die wir im Vorjahr angefangen haben, geht weiter. Erneut sind wir an die Westküste gereist und ins Landesinnere gefahren. Immer hin- und hergerissen zwischen den Versuchungen von Denny’s, In-N-Out Burger und Co. und der Schönheit der nordamerikanischen Nationalparks.
Fotos von Chris Jegl und Marcel Schlegel
Schön unauthentisch authentisch
Diese Reiseserie beginnt mit einem Disclaimer: Denn mit Reise-, pardon Travel-Bloggern habe ich so meine Schwierigkeiten. Daher muss ich nun gut aufpassen, wie ich unseren Roadtrip an der Westküste der USA in der folgenden Miniserie beschreibe. Mein Problem ist: Die meisten sogenannten Reise-Influencer präsentieren sich im Social Web so wundersam unauthentisch authentisch, dass ich es kaum fassen kann, wie viele auf diese gestellte Scheiße reinfallen. In ihrem – nicht selten werblich forcierten – Streben, ein Roadtrip-Feeling möglichst echt zu transportieren, rotzen sie rechtschreibferne Floskeln und Worthülsen auf ihren digitalen „Block“ – so unglaubwürdig, dass ich mich manchmal ernsthaft frage, ob sie zuvor für den TUI-Reisekatalog geschrieben haben. Blumiger Klischee-Hashtag-Kitsch, eben genau das, was man erwartet und so allglatt, ich würde am liebsten tagelang den Grand Canyon runterkotzen.
Wer glaubt ihnen das? Zu viele. Und das ist es, was ich nicht verstehe. Jedes Profil gleicht dem anderen und als Konsequenz kann man sich kaum noch vorstellen, dass ein (Reise-)Blogger medial noch anders als durch Kalkül entsteht. Luxusprobleme? Gewiss! Dies soll keine Pauschalverurteilung sein. Ich selbst bin ein Rädchen in diesem System (schaut euch die Fotos an), schon allein von Berufswegen (nicht der Blog!). Sicher gibt es da draußen auch ehrliche Reise-Enthusiasten und -fotografen, für die die Sache mehr wiegt als der „Schein“ der Online-Welt oder deren Arbeit in erster Linie kreative und schöpferische Kunst ist. Den Erfolg aber haben andere: getarnte Travel-Geschäftsmänner – nicht die echten Reisenden.
Lightroom-Presets machen den echten Reiseblogger aus
Ihre Fotos sind Hochglanz-Lookalikes, digitale Doubles der zig anderen (gut) bezahlten Reise-Instagramern, die sich täglich gegenseitig digitale Herzchen verteilen und in den Kommentaren sicher immer ernstgemeinte Komplimente um die Profile hauen. Und für deren Lightroom-Presets ihre Nachahmer womöglich selbst den Weg der Prostitution in Erwägung zögen. Ihre Reise wird von einem guten Teil davon bestimmt, in jedem Moment selbst bildfähig zu sein. Der Moment also wird für sie erst erlebbar, wenn sie ihn in die digitale Welt hinausschicken können, und wenn es dafür Likes hagelt – und kaum noch vor Ort. Notfalls hilft man mit ein paar Tools eben nach. So wird die Wirklichkeit der Reise zu einer simulierten Inszenierung desselben, deren Qualität an Likes, nicht an Emotionen gemessen wird; ja zu einer Fälschung nach dem Skript von Unternehmen, Geldgebern oder dem Drehbuch einer Geschichte, die das Lied von Fernweh, Sehnsucht und Freiheit singt, aber nach Moneten riecht – unauthentisch authentisch eben. #soblessed.
Ein großes Problem: Man kommt, spürt man selbst eine Leidenschaft für Social Media in sich, an ihnen und an der Dynamik, die sie begründeten, nicht mehr vorbei. Für die Industrie sind sie ökonomische Waffen, mit denen sich die entsprechende Zielgruppe gefügig machen lässt. Es reichen: ein paar duftende Worte.
Instagram macht vieles kaputt
Mein weiteres Problem ist: Wir können uns davon nicht ausnehmen. Wir befahren denselben Highway, die Route 666, die straight in Richtung Instagram-Highway to Hell führt. Wenn du dich nämlich dafür entscheidest, deine Reise im Social Media auszubreiten, hast du schon eine Entscheidung getroffen – gegen das Authentische, Echte, Wahre. Das ist wie die Smartphone-Kameracrew auf einem Konzert: In dem Moment, in dem du, anstatt den Augenblick zu erleben, deine Kamera zückst, ist ein Teil seines Reizes verpufft. Und die Hashtags #wanderlust oder #lovetotravel bringen diesen sicher nicht mehr zurück. Keine neue Erkenntnis, aber so wichtig, sie selbst gemacht zu haben: Wer reist, der sucht Ausbruch, spürt Freiheit, verbannt Verpflichtungen – all dies zerstört Social Media, ja schon die Dauererreichbarkeit des Smartphones als solche.
Warum also, könnte man nun fragen, spielen wir das Spiel dann mit? Warum genießen wir unseren Trip nicht dort, wo er stattfindet: in der analogen Welt? Und noch paradoxer: Warum bringe ich diese Gedanken ausgerechnet über unseren Blog in die Welt? Ein Widerspruch, eine Diskrepanz, die ich selber nicht ganz und gar auflösen kann! Der Reiz dieser Hochglanz-Welt, der Drang, dort seine Sahneseite herauszukehren, irgendwann frisst er jeden. Es ist, wie alles, ein Geschäft und ich hoffe, dass diese Blase irgendwann platzt.
Ein Mittelweg?
Wie löst man das Problem also, wenn man dennoch etwas von seiner Reise zeigen will? Man wählt einen Mittelweg, einen Kompromis. In unseren, diesmal zwei Wochen on the road haben wir die Kamera oftmals im Wagen gelassen, um uns beim andern Mal dann ganz bewusst für das Fotografieren zu entschieden und dieses in den wortwörtlichen Fokus gerückt. Selbstverständliches eigentlich – doch in einem Zeitalter, in dem jeder Moment zunächst auch die eigene Instagram-Story mitdenkt, ein reflektierter Schritt. Denn wenn wir eines aus unserer ersten USA-Reise im Dienste des Blogs gelernt haben, dann das: Es geht immer nur eines – Zwitterprodukte sind nichts Halbes und nichts Ganzes. Und eins noch: Ein echter Reisender wird nie zum Reiseblogger. Er genießt den Moment, nicht die Instagram-Story. Wir also sind geläuterte Reiseblogger – und hoffentlich irgendwann einmal Reisende.
So, nun genug gehated – ab jetzt spielen wir das Spiel wieder mit.
MEHR ZUR SERIE
America the beautiful #1 – Joshua Tree & Route 66
America the beautiful #2 – Yosemite
America the beautiful #3 – San Jancito & Death Valley
1 Comment
[…] Das erste richtig große Problem behandeln wir gleich mal vorneweg: Die ganzen Berichte auf anderen Reiseblogs gleichen sich. Sie scheinen identisch geschrieben, sie ähneln sich in ihrer werblichen Pseudo-Mentalität, ihrer Konstruktion einer unauthentischen Plastikwelt und in den scheinbar vermittelten Erfahrungen. Alles der gleiche Einheitsbrei, kennst du einen, kennst du alle. So unfassbar wunderschön ist es dann dort doch immer, ja gar ein Lifetime Goal – genau, vor allem und gerade jetzt noch, bevor die große Touri-Invasion kommt. Dann wäre es ja nicht mehr so fancy und cool, dort zu sein. Weiterhin dreht sich in solchen Blogtexten alles immer um die überaus freundlichen und wunderbaren Menschen. (Zu unserer Kolumne über Travel-Blogger gehts hier entlang!) […]